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Info Fortschritte am Gotthard (und bei der NEAT insgesamt)

Nic

Zugbegleiter
Am Freitag, 31. Oktober 2014 konnte ein weiterer grosser Schritt beim Bau der NEAT abgeschlossen werden: Es wurden die letzten beiden Schwellen des 57 Kilometer langen Basis-Tunnels verlegt. Resp. sie wurden gegossen, da sie aus "Gold" sind (nur teilweise natürlich). Die Gleisarbeiten bei diesem Grossprojekt sind somit praktisch abgeschlossen und der längste Tunnel der Welt kann nun bereits mit Dieselloks auf der ganzen Strecke befahren werden. Baubeginn war am 4. November 1999.

Insgesamt verlegte der Generalunternehmer Transtec während 39 Monaten rund 290 Kilometer Schienen mit 380'000 einzelnen Blockschwellen. Für die Fahrbahn standen total gegen 125 Arbeiter in Schichten, sieben Tage die Woche, rund um die Uhr im Einsatz.

Nach dem Abschluss der Gleisarbeiten steht nun der Einbau der Bahntechnik mit Fahrleitungen, Stromversorgung, Telekommunikation und Sicherungsanlagen an. Entlang des Tunnels begann bereits der Rückbau der Installationsplätze. Im Herbst 2015 soll der Testbetrieb im gesamten Basistunnel beginnen. Die Eröffnungsfeiern sind für den 2., 4. und 5. Juni 2016 geplant. SBB-Züge sollen dann im Dezember 2016 fahrplanmässig durch den Tunnel zwischen Erstfeld und Bodio rollen.

Auch die Arbeiten am 15km langen Ceneri-Basistunnel kommen gut voran, es sind bereits 85% ausgebrochen. Die Inbetriebnahme ist für 2019 geplant. Beide Tunnels und die ausgebauten Zufahrtsstrecken bilden eine neue Flachbahn durch die Alpen - die NEAT eben. Die neue Zuglinie soll die Fahrzeit zwischen Zürich und Mailand um rund 60 Minuten auf 2 Stunden und 40 Minuten verkürzen.

(Text bis hier: Teilweise www.srf.ch entnommen, Text ab hier: Eigene Worte)

Doch die Zeitersparnis um einen Drittel ist nur einer von vielen Gründen, warum "man" die NEAT umsetzen und die mindestens 24 Milliarden Franken (Gesamtkosten, Stand Juni 2011 gemäss www.wikipedia.org) investieren will. Ein wichtiger Faktor stellt auch der politische Wunsch dar, den Güterverkehr von der Strasse vermehrt auf die Schiene zu verlegen. Mit der Bereitstellung der NEAT-Infrastruktur wird dafür - zumindest prinzipiell - ein Anreiz geschaffen. Parallel dazu erhöht die Landesregierung seit Jahrzehnten systematisch die Schwerverkehrsabgabe LSVA (die NEAT wird zu 55% daraus finanziert und 10% durch die Mineralölsteuer, welche den Strassentransport ebenfalls direkt künstlich verteuert). So erhofft man sich, dass der sogenannte "Break Even" bald erreicht werden könnte, wo es sich für Logistikunternehmen nicht wie bisher nur punktuell sondern wünschenswerterweise grundsätzlich lohnt, einen Transport über die Schienen abzuwickeln.

Doch genau in diesem Punkt liegt meiner persönlichen Ansicht nach der Hund in den NEAT-Ambitionen begraben und zwar gleich in doppelter, dreifacher und sogar vierfacher Hinsicht...

1) Selbst die optimistischsten Verkehrsplaner geben bereits seit Jahren zu bedenken, dass die NEAT - falls überhaupt jemals - im besten Falle preislich höchstens auf gleiches Niveau wie der Strassenweg kommen wird (rechnet man auch die Wartezeiten an den Terminals und alle anderen Opportunitätskosten mit ein), aber dieses bestimmt nicht wird unterbieten können. Für die Logistikunternehmen wird die NEAT also nicht eine Frage der Wirtschaftlichkeit sondern rein eine Frage der Ökologie sein. Ein "wahrer", unwiderstehlicher Anreiz, den Güterverkehr massgeblich auf die Schienen zu verlagern, ist somit natürlich nicht mehr gegeben.

2) Erschwerend kommt diesem Grundsatz nun noch folgendes pikante Detail hinzu: Die SBB haben vor kurzem beschlossen (warum auch immer), dass man sich mit der bisherigen Gotthard-Bergstrecke inkl. dem Gotthard-Scheiteltunnel NICHT um eine Aufnahme ins UNESCO-Weltkulturerbe bewerben will. Der Bund will aber nicht akzeptieren, dass jene technische Meisterleistung mit der auch kulturell-historisch bedeutenden Strecke einfach dem Zerfall überlassen wird und hat die SBB umgehend verpflichtet, die Bergstrecke auch nach Eröffnung der NEAT quasi als Service Public weiterhin voll zu betreiben (auch mit dem Güterverkehr). Das ist natürlich für alle Liebhaber und Bewunderer jener Strecke (wozu ich auch gehöre ;)) eine gute Nachricht, aber für die SBB bedeutet das massive und vor allem unbudgetierte betriebliche Mehrkosten. Einen Teil dieser Mehrkosten werden die SBB auch mit den NEAT-Tonnagenpreisen querfinanzieren - müssen. Insofern wage ich es denn doch bereits stark zu bezweifeln, dass die NEAT der Strasse rein wirtschaftlich gesehen auch nur annähernd wird Konkurrenz machen können.

3) Einfach nur mal angenommen, "wir" Realisten sind wie immer zu pessimistisch und die NEAT wird tatsächlich eine lohnende Alternative zur Strasse für den Güterverkehr. Dann haben die SBB vom ersten Tag des NEAT-Betriebs an ein MASSIVES Kapazitätsproblem. Bereits jetzt, wo statistisch gesehen ein nur vernachlässigbarer Anteil über die Schienen abgewickelt wird, sind die SBB am Gotthard sehr oft hart an der Kapazitätsgrenze. Wenn nur 10% des Gesamt-Warenumschlags von Norden nach Süden (und umgekehrt) von der Strasse auf die Schienen verlegt werden würde, wären die Warteschlangen an den Verladeterminals auch bei der neuen Strecke derart lange, dass die Zeitersparnis durch die NEAT gleich wieder verloren ginge und wir hätten wieder genau die gleiche Situation wie heute, dass der Schienenverkehr gegenüber der Strasse (mit punktuellen Ausnahmen) einfach nicht konkurrenzfähig ist. Aber bei 10% kann ja noch nicht wirklich von einer "massgeblichen" Verlagerung gesprochen werden...

4) Das grundsätzliche Kapazitätsproblem der NEAT liegt aber leider nicht nur bei der reinen NEAT selber sondern - und hauptächlich - bei den Zufahrten und Verladeterminals in unseren Nachbarländern, worauf die Schweiz keinen Einfluss hat. Obwohl die NEAT in ein paar Jahren bereits eröffnet wird, besteht derzeit weder in Deutschland geschweige denn in Italien ein ernst zu nehmender politischer Wille, die nötigen Anschluss-Infrastrukturen zu bauen. Da nützt die schnellste Transversale nichts, wenn man bei der Zufahrt mehr Zeit verliert als man durch die neue Strecke einspart.

Nichts desto trotz bin ich persönlich ein leidenschaftlicher Befürworter der NEAT. - Nicht aus wirtschaftlichen und auch nicht aus ökologischen Gründen - das sind lediglich (politische) Vorwände, um eine Volkswirtschaft ÜBERHAUPT dazu bewegen zu können, ein solches Mammutprojekt in Angriff zu nehmen. Nein, ich persönlich befürworte die NEAT schon bereits rein aus einem Blickwinkel der Innovation und der Symbolwirkung heraus. Die gewonnenen Kenntnisse und gemachten Erfahrungen dieses Projekts sind wegweisende Fundamente für die weitere Entwicklung des Tiefbaus im allgemeinen und des Schienenverkehrs im speziellen. Auch die Materialforschung, der Maschinenbau und nicht zuletzt die Bereiche Geologie, Geophysik und Vermessungstechnik in der Schweiz wurden bereits stark durch die NEAT beflügelt. Dies lässt sich natürlich nicht in Zahlen ausdrücken, aber es ist unbestritten, dass dieser Nutzen aus rein innovativer Sicht eine grosse Bereichung für die Schweiz darstellt. Und dass dieses Projekt auch eine unglaublich starke Symbolwirkung hat, was unser Image und unser Ruf als "Qualitäts-Land" weltweit betrifft, brauche ich wohl erst garnicht nicht näher zu begründen. :)
 
Zuletzt bearbeitet:

teddych

Teammitglied
Innendienst
Hoi Nic

Danke für deine Zusammenfassung.

1) Ob für ein Logistikunternehmen die NEAT wirtschaftlich ist hängt von vielen Faktoren ab. So ist z.B.
- die zu transportierende Menge wichtig. Um 5t nach Italien zu liefern ist ein ganzer Bahnwagen schlicht zu teuer, hat man aber 100t Material, kann man zwei oder drei Bahnwagen füllen, was u.U. günstiger ist.
- Die Dieselpreise sind nicht ganz unerheblich, machen sie bei einem 40-Tönner doch etwa CHF -.70 pro km. Wenn der Ölpreis ins Bodenlose fällt wie das aktuell der Fall ist macht das schnell merklich viel aus. Eine Verdoppelung des Dieselpreises würde aber das eine oder andere Logistikunternhemen arg in Schieflage bringen. Nur zum Vergleich: die LSVA für einen 40-Tönner ist Handgelek mal Pi CHF 1.-/km.
- Härtere Zulassung von Chauffeuren. Die Pflichtausbildung um gewerbsmässig als Chauffeur tätig zu sein hat in den letzten 10 Jahren erheblich zugenommen (Nach der Autoprüfung sind DREI weitere Prüfungen nötig, wer mit Gefahrengut fahren will noch eine vierte Prüfung, immer verbunden mit signifikanten Kosten. Auch sind ein Tag Weiterbildung pro Jahr Pflicht). Auch sind die Kriterien für einen Führerscheinentzug massiv gesenkt (bereits Blechschaden gibt bei einem Polizeirapport mindestens einen Monat Zwangsferien).
- Neue Güterwagen haben gegenüber den aktuell eingesetzten Typen mehrere Vorteile: Sie sind 10-20% leichter (oder können bei gleichem Trassenpreis bis zu 20% mehr Ware mitnehmen), sie können schneller verkehren (bis zu 140km/h anstelle 80km/h und können damit zusätzliche Trassen der NEAT beanspruchen)

2) Ja, die Infrastruktur auf der alten Gotthardlinie kostet einen zweistelligen Millionenbetrag. Es stellt sich einfach die Frage, ob die SBB es hinbekommen einen vernünftigen S-Bahn-Betrieb aufzubauen zwischen Biasca und Erstfeld. Rollmaterial und Personal dürften wohl bald das Günstigste sein. Die Trassen dürften jedenfalls vorhanden sein, wenn die NEAT offen ist.

3) und 4) Sobald es für einen Logistikanbieter wirtschaftlich ist mit dem Zug zu transportieren wird das Geld plötzlich da sein um zusätzliche Terminals zu bauen. Ich erachte das nicht als Problem. Auch werden plötzlich Anschaffungen in schnelleres Rollmaterieal interessant, wenn damit mehr benötigte Trassen möglich sind. Ich glaube auch, dass die Logistikunternehmen nicht oder nur wenige bis ins Jahr 2017 vorausschauen. Wenn der Transport plötzlich eine Stunde schneller und ohne kostenintensive Schiebelok möglich ist sieht die Rechnung ganz anders aus.

Wie die Welt des alpenquerenden Gütertransportes im Jahre 2020 aussehen wird können wir heute nur spekulieren. Ich jedenfalls bin auf die Auswirkungen der NEAT sehr, sehr gespannt!

Gruss
Teddy
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Was ist meine Modelleisenbahn wert?
 
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