Hallo Hannah
Mit dem Risiko, dass ich nun gleich den Grossteil der Leser abhänge, hier eine etwas ausführlichere technische Abhandlung zum Thema:
Das Problem vom Schirm liegt bei den kapazitiven Eigenschaften, die dieser mit sich bringt. Die Datenleitungen und der Schirm sind zusammen ein Kondensator. Gerade bei langen Kabeln kann dieser beträchtliche Werte annehmen. Je mehr Material für den Schirm verwendet wird desto grösser der Kondensator. Insbesondere die Rückleitung wird in den S88-Modulen mit Standard CMOS-ICs gespiesen. Diese haben quasi keine Leistung und sind grundsätzlich NICHT dafür ausgelegt eine Kabelleitung mit einem Signal zu versorgen. Wenn eben diese Kabelleitung noch mit einem extra Kondensator versehen wird (dem Schirm), dann geht es schnell mal in die Hose. In der Zentrale sind zwar üblicherweise anständige Treiberbausteine verbaut. Aber es sind auch viele zu treibende ICs an der Leitung. Also schon ohne Störungen ist die Kabellänge ein Problem. Es muss immer ein elektrischer Pegel von > 3.5V oder < 0.5V erreicht werden damit das Signal korrekt interpretiert wird. Insbesondere letzteres ist sportlich über ein Kabel.
Bei TP-Ethernet werden immer zwei Kabel für ein Signal verwendet. Ist der Pegel auf Leitung eins höher wird das als logisch 1 interpretiert, ist die Leitung zwei höher als logisch 0. Ob die Differenz 5V oder nur 0.01V beträgt ist dabei egal. Und ob die Pegel bei -4.00V und -4.01V oder bei +8.5V und +8.49V liegen ist auch egal. Lediglich die Differenz von 0.01V zählt. Das ist beim S88 anders. Da müssen wir immer gewisse Minimalpegel erreichen.
Auf der Seite
Augendiagramm hast du ganz rechts ein schönes, kombiniertes Bild. Oben jeweils das was der Sender auf die Leitung gibt, unten das was ankommt. Sieht nicht ganz identisch aus, oder? Und für diese verquetschten Diagramme sind die kapazitiven Eigenschaften des Kabels verantwortlich (Das Kabel ist somit ein Tiefpass). Sind die Spannungspegel sowieso schon eng beim Empfänger braucht es nur noch ganz kleine Störungen und schon ist der Wurm drin.
Auch zu beachten: Wenn eine Störung auf die Kabel einwirkt, dann wirkt diese auf alle sechs Leitungen gleich. Erhöht sich der Pegel einer Datenleitung, dann steigen auch GND und +5V im selben Mass mit an. Die S88-Module bekommen davon gar nichts mit, denn das Potenzial zu GND ändert sich damit nicht (Diese Aussage bedingt, dass die S88-Module ausschliesslich über dasselbe Kabel mit Strom versorgt werden). Eine Störung per Se ist somit nicht tragisch. Was aber tragisch ist: Wenn GND (also die Masse) vom S88-Bus an mehr als einer Stelle mit der Modellbahn-Masse (ich schreibs jetzt halt trotzdem so) verbunden ist (und damit der S88 nicht ausschliesslich über das S88-Kabel mit Strom versorgt wird). Dann fliesst auf der GND-Leitung des S88 deutlich mehr Strom als auf allen anderen. Das ist dann eine direkte Einkopplung einer Störung auf nur einer Leitung, was eine gravierende Potenzialänderung mit sich ziehen kann.
Was beim S88 auch anders ist - und das macht uns das Leben so schwer: S88 kennt keine Fehlererkennung, geschweige denn Fehlerkorrektur. Bei Ethernet haben wir mehrere Layer mit Fehlerkorrekturen. Wird mal was falsch übertragen wird das erkannt und korrigiert. Parity, ECC, CRC, Übertragungswiederholung und allfällige Checks auf dem Application-Layer stellen uns eine gesicherte Übertragung zur Verfügung. Nicht aber beim S88.
Ich habe nun viel geschrieben, möglicherweise ist nun alles noch wirrer als vorher. Jedenfalls: Willkommen in der Welt der Datenübertragung. Das ganze Thema Datenübertragung ist sehr umfangreich. Ich durfte vor ziemlich genau zwei Jahren ein halbes Semester lang die Schulbank drücken zu diesem Thema. Ich glaube aber, dass ich das nicht annähernd so gut wiedergeben kann wie das unser Dozent gemacht hat (das war übrigens einer der Besten den ich je hatte).
Gruss
Teddy
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